Paul Kalkbrenner

7



CD Longplay


Artikelnummer: 88875104472
Sony Music
Erscheinungstermin: 13.11.2015
Kategorien: Musik / Pop allgemein / Disco / Dance
Es kommt selten vor, dass ein Musiker sich mit dem siebten Studioalbum den totalen Neuanfang vornimmt. Die Meisten erleben gar nicht so eine epochale Zahl an Veröffentlichungen. Und wenn doch, dann ist zumeist die Sehnsucht nach Neuerungen fern. Es hat sicherlich mit Paul Kalkbrenners Zielsetzung zu tun, sich mit "7" weltweit auf das nächste Wahrnehmungs-Plateau zu hieven, dass er den Reset-Knopf drückte und für das Album das bewährte Kalkbrenner-Cache löschte und alle Sounds originär neu generierte. "7" ist ein erfrischend offenes Album geworden, eines, dem man anmerkt, dass der Künstler sich freute, endlich wieder mit Zeit im Studio sitzen zu dürfen. Es strotzt nur so vor Optimismus und der Ambition, dem Hörer einen Ort zum Wohlfühlen zu schenken. Bis auf das düster explodierende "Mothertrucker" und dem mit seinen tiefen Unterwasserbässen eine eskapistische Science-Fiction-Stimmung erzeugenden "Align The Engine" schmiegen sich die Songs auf "7" geradezu zärtlich an mit ihren eingängigen Melodien und diesem sympathischen Bekenntnis zu einer Prise Trance. Interessanterweise könnte man meinen, dass er das Album im Hinblick auf seine Live-Sets angelegt habe, so fließend erscheint es einem und so referenzreich - analog zu den Etüden eines Johann Sebastian Bachs, so Kalkbrenner, der sehr gerne Klassik hört - tauchen Themen aus dem einen Song immer wieder in anderen auf, mal offensichtlicher, mal sehr subtil. Doch der Eindruck, dass dies direkt zu den Auftritten Kalkbrenners führt, der täuscht. Im Gegenteil, es wird es eine große Herausforderung, die komplexen Arrangements alleine aufzuführen - Kalkbrenner scherzt, er müsse schon wie Shiva acht Arme besitzen, um das zu bewerkstelligen. Auch dass es auf "7" viel knistert und rauscht und eine gewisse Rohheit in den Sounds und beim Timing vorherrscht, unterstreicht dieses Live-Feeling des Albums. Kalkbrenner schätzt es, wenn die Dinge nicht immer berechenbar sind, wenn die Aufmerksamkeit des Hörers stets gefragt bleibt, da er sich nie sicher sein kann, was denn als Nächstes passiert, was nicht so ganz in die üblichen Schemata passt. Am markantesten geschieht dies auf "7" nicht mit verschleppten Delays oder unsauberen Samples, sondern wenn gepfiffen wird. Kalkbrenner hat nämlich die Neigung seine Melodien einzupfeifen - und im zweiten Stück des Albums, "Cylence 412", hat er das Pfeifen am Ende frei und alleine stehen gelassen. Er weiß, was er da macht und setzt das Intermezzo ganz bewusst als Steigbügelhalter für "Cloud Rider". Es ist das krasseste Stück des Albums, eine schmachtende Pathoshymne, die davon zeugt, wo die Ambitionen liegen: Aufbauend auf einem Sample aus dem D-Train Song "You Are The One For Me" lässt er das ganz große Gefühlskarussell anlaufen. Noch mit gebrochenem Beat und vielleicht eine Spur zu vertrackt, als dass ihm sofort alle folgen werden - das hat er sich für das Stück "Feed Your Head" aufgehoben, für das er den Jefferson Airplane Hit "White Rabbit" sampeln durfte und dass er selbst als seinen bis dato besten Song empfindet. Es ist Wallungs-Techno, dessen Subbass aufwühlen und dessen gerade Bass Drum mächtig voranschreitet. Mit "A Million Years", für das er mit Luther Vandross Gesangslinie aus "Never Too Much" gearbeitet hat, rotiert es dann auf Höchstgeschwindigkeit und lotet aus, wie viel Pathos und Gänsehaut ein 4/4-Beat transportieren kann. Die Auswahl dieser Stimmen aus Rock, Pop und Soul passt vorzüglich zu Kalkbrenners Ambition, mit "7" dem omnipräsenten EDM einen anderen elektronischen Gegenpol zu setzen. Einen, der mehr in Monotonie als Spektakel, der mehr in Euphorie als in Überdrehtheit geerdet ist. Ob mit Shuffle-Beat ("Shuffleface"), Blues-Thema ("Tone & Timber") oder als Slow-Mo-Dance ("Papercut Pilot"), den homogen Charakter erhält "7" bei aller Differenz der Stücke durch die anhaltende kribbelnde Fröhlichkeit, die einen durch das Album trägt. Fragt man Paul Kalkbrenner nach seinen Einflüssen für das Album, so kommen so unterschiedliche wie überraschende Verweise. Da wären einmal die Westernkompositionen von Ennio Morricone, ein Album des japanischen Synthesizer-Künstlers Isao Tomita, der "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgsky vertont hat, und den Kalkbrenners Eltern gerne gehört haben, sowie die Musik von Mike Oldfield, dessen Platten der neunjährige Paul liebte und bei denen ihn früh faszinierte, dass dieser alles allein eingespielt und danach Schicht für Schicht aufgetragen hat. Diese Kindheitseindrücke seien wie ein Wind zu ihm geweht worden. Der Wind steht gut für Paul Kalkbrenner.
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